Der Charakter eines Motors wird nicht nur vom Drehmomentmaximum geprägt,
sondern viel mehr durch den Verlauf des Drehmoments in Abhängigkeit
von der Drehzahl. Zweifellos bestimmt vor allem der Hubraum das Leistungsvermögen,
aber wie lebendig die vielen Kubikzentimeter agieren, hängt von den
Steuerzeiten der Nockenwelle ab, dh. wann und wie lange die Ventile öffnen.
Sie beeinflussen auch das Leerlaufverhalten, den Benzinverbrauch und
die Abgasqualität. Die vier Takte - Ansaugen, Verdichten, Arbeiten,
Ausschieben - erstrecken sich über zwei Kurbelwellenumdrehungen. Das
dazugehörige "Steuerprogramm" ist auf einer Nockenwellenumdrehung
untergebracht, folglich rotiert die Nocke mit halber Kurbelwellendrehzahl.
Das Drehmoment eines Motors wird, abgesehen vom Hubraum, wesentlich von
der Füllung des Brennraums beeinflusst. Das Ziel ist damit vorgegeben:
Das Einlassventil muss so schnell, so weit und so lange wie möglich
geöffnet werden, damit ein Höchstmass an Luft-Spritgemisch einströmen
kann. Im Gegensatz dazu sind die Öffnungszeiten des Auslassventils
nicht so wichtig, weil die Abgase am Ende eines Arbeitstaktes noch unter
einem Druck von zwei bis fünf bar stehen und von allein in den Krümmer
strömen. Aus diesem Grund sind Auslassventile und Auslassquerschnitte
immer kleiner dimensioniert als ihre Kollegen auf der Einlassseite! Würde
nun das Einlassventil pünktlich zu Beginn des Ausaugtaktes öffnen
und am Ende desselbigen schliessen, so ergäbe sich nur ein Minimum
an Leistung durch die sehr kurze Öffnungszeit. So öffnet das
Einlassventil schon deutlich vor dem Ansaugtakt und damit vor OT des Kolbens
und schliesst auch einige KW (Kurbelwinkel) nach dem UT, also im Verdichtungstakt
erst wieder. Auf diese Weise verschafft man dem Ventil längere Öffnungszeiten:
während der reine Ansaugtakt 180 Grad KW beträgt, ist das Einlassventil
über 280 Grad KW geöffnet. Der Einlassbeginn liegt zwischen 30
und 80 Grad KW vor OT und Einlassende 65 bis 100 Grad nach UT. Mit diesen
gestreckten Öffnungszeiten lassen sich nun grosse Ventilhübe
und gesteigerte Drehmomente realisieren. Die Ventilbeschleunigung, dh.
wie schnell die Ventile öffnen und schliessen, hängt vor allem
vom Ventiltrieb ab: obenliegende Nockenwellen mit Tassenstössel lassen
eine max. Beschleunigung von ca. 8000 m/s² zu, bei Stossstangen und
Kipphebeln ist bei 4000 m/s² Schluss!
Spielen wir den Gaswechsel gedanklich einmal durch: Das Einlassventil
öffnet schon vor Beendigung des vierten Taktes (Ausschieben der Abgase).
Der Kolben befindet sich vor dem OT, seine Geschwindigkeit nimmt stark
ab, denn er stoppt im OT und wechselt seine Bewegungsrichtung. So ist das
Einlassventil mit Beginn des Ansaugtaktes schon zu einem Drittel offen;
es schliesst dann auch wieder weit nach der Beendigung des Ansaugtaktes
und nutzt dabei den sogenannten Nachladeeffekt aus: am Ende des Ansaugtaktes
hat das Frischgas soviel Bewegungsenergie, dass es noch in den Brennraum
strömt, wenn der Kolben sich schon längst wieder aufwärts
bewegt. Durch Ausnutzung dieses gasdynamischen Effektes kann der Motor
mehr Gemisch ansaugen, als es dem Hubraumvolumen entsprechen würde.
Die Nachladung steigt in ihrer Wirkung mit der Gasgeschwindigkeit, dh.
mit der Drehzahl. Bei Sportmotoren schliesst das Einlassventil mit bis
zu 100 Grad nach UT recht spät; so wird bei hoher Drehzahl eine hohe
Nachladung und damit auch Leistung erzielt. Im unteren Drehzahlbereich
dagegen ist die Leistung miserabel, weil ein Teil des Frischgases wieder
in den Einlasskanal zurückgeschoben wird. Der Zeitpunkt "Einlass schliesst"
ist damit die wichtigste Steuerzeit der Nockenwelle und beeinflusst am
meisten die Motorcharakteristik. Die gesamte Öffnungszeit des Einlassventils
bestimmt auch die Bezeichnung der Nockenwelle, dh. wenn man von einer 280'er
Nocke spricht, bedeutet das, dass das Einlassventil 280 Grad KW geöffnet
ist. Das Auslassventil öffnet bereits vor Ende des Arbeitstaktes.
So unterstützt der vorhandene Druck das Ausströmen enorm, weiterhin
wird die Ausschubarbeit des Kolbens im vierten Takt verringert (kostet
sonst auch Leistung). Der Auslassschluss liegt nach dem OT, also schon
weit im Ansaugtakt. Ausserdem hat ja das Einlassventil auch schon vor OT
geöffnet, es sind also beide Ventile offen. Diesen Zustand nennt man
Ventilüberschneidung, seine Dauer wird ebenfalls in Grad Kurbelwinkel
angegeben. Jetzt könnte man meinen, ein Motor kann nicht laufen, wenn
alle Ventile gleichzeitig geöffnet sind. Doch ganz im Gegenteil: grosse
Ventilüberschneidungen verbessern die Füllung bei hohen Drehzahlen,
da das Gemisch im Ansaugkanal durch die Saugwirkung des auströmenden
Abgases schon in Bewegung gesetzt wird, obwohl sich der Kolben noch aufwärts
bewegt. Im niedrigen Drehzahlbereich stellen sich Nachteile ein, da kleine
Mengen Abgas in den Einlasskanal geschoben werden und das Gemisch dadurch
verdünnen. Kritisch wird es dann im Teillastbereich bei weit geschlossener
Drosselklappe. Da wenig Gemisch im Einlasskanal zur Verfügung steht,
werden grosse Mengen Abgas in den Einlasskanal geschoben. Das Gemisch wird
bis zur Zündunfähigkeit verdünnt und es treten Fehlzündungen
und Zündaussetzer auf (das typische Ballern im Schubbetrieb!). Durchzugsstarke
und elastische Motoren weisen eine Ventilüberschneidung von ca. 80
bis 100 Grad auf. Bei Rennmotoren ist die Überschneidung zugunsten
der kompromisslosen Höchstleistung sehr hoch: bis zu 190 Grad KW.
Den schlechten Leerlauf muss man dann mit hohen Leerlaufdrehzahlen kompensieren.
Bei der Berechnung der Nockenform muss das Ventilspiel berücksichtigt
werden. Um bei der Überbrückung des Ventilspiels einen harten
Schlag des anlaufenden Nockens gegen den Stössel zu vermeiden, muss
der Nockenanlauf sanft ansteigend erfolgen. Das Gleiche gilt für den
Auslaufs des Nockens. (Die SCAT-Nockenwellen haben dagegen einen steilen
Anstieg und sind folglich auch sehr laut und nicht besonders materialschonend.)
Schlussendlich steht die Erkenntnis, dass die Auslegung einer Nockenwelle
nur ein Kompromiss sein kann.
Rocco